Die Geschichte der Tübinger Reitgesellschaft
„Und dennoch ist trotz allem und wird auch noch auf lange Zeit hinaus Tübingen die Lieblingsuniversität aller akademischen Bürger bleiben, die mit Leib und Seele Reiter sind.“
Heyfelder, Berlin 1909
Die Tübinger Reitgesellschaft hat 2009 ihren 60. Geburtstag gefeiert. Die Tradition des Reitens in Tübingen reicht aber viel weiter zurück, sogar bis ins 16. Jahrhundert.
Als der Reitsport noch Reitkunst heißt, wird im 1559 gegründeten Collegium Illustre bei der Ausbildung der Beamten neben Leibesübungen, Fechten, Tanzen und Ballspielen auch das Reiten als körperliche Ertüchtigung zur Vorbereitung auf die Beamtenlaufbahn angeboten. Dabei sind die Anlagen dieser Adelsakademie, die als Gegenstück zum Evangelischen Stift entstanden war, für die bürgerlichen Kreise nicht zugänglich. So steht etwa in den Statuten von 1614: „Aber die von uns im Collegio zugelassenen Leibes- und Hofexercitia sollen den Collegiaten vorbehalten und niemands anderem (…) communiciert werden.“
Auch an der Universität Tübingen wissen sie die Reiterei als Ausgleich zum Studium zu schätzen. So richtet der Senat 1672 ein Anschreiben an den Herzog mit der Bitte um Einstellung eines Reitlehrers, da sich an der Universität ein „Numerus Studiosorum befindet, die neben den Studiis zugleich auch die Exercitien zu ergreifen und zu continuieren sehnlich verlangen“.
1836 wird ein neues Reithaus an der Stelle des heutigen Mensagebäudes in der Wilhelmstraße gebaut. Über 100 Jahre lang bildet die Universität dort ihre Reiter aus. Am 15. März 1890 berichtet die „Tübinger Chronik“ über den neuen Univeritäts-Stallmeister Major Wilhelm Fritz: „Unterricht wird von demselben auch Privaten erteilt, darunter auch Damen, denen mehrere bereits unter Leitung des Herrn Fritz dem Reitsport sich widmen. Unterricht wird in deutsch, französisch und englisch erteilt.“ Dr. Erich Heyfelder lobt 1909 in seinem Buch „Die Reitkunst auf den Deutschen Universitäten“ Tübingen als die „Lieblingsuniversität aller akademischen Bürger, die mit Leib und Seele Reiter sind“.
In den beiden Weltkriegen jedoch werden die Pferde jeweils von der Armee eingezogen, der Reitbetrieb ist kaum noch oder gar nicht mehr möglich. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Einmarsch der französischen Besatzungstruppen wird das Tübinger Reitinstitut offiziell aufgelöst, die Reithalle in der Wilhelmstraße dient als Gefangenensammelstelle.
Später nehmen die Offiziere der Franzosen dort den Reitbetrieb wieder auf und gründen die „Societe de Concours Hippique de Tübingen“. Deutsche dürfen auf der Anlage als Gäste reiten. Am 29. März 1949 wird die Tübinger Reitgesellschaft gegründet. Diese TRG richtet in der Anfangszeit zusammen mit der französischen Societe Reitturniere aus.
1954 und 1955 rückt Tübingen bundesweit in den Fokus der Reitwelt, als im Mai die Vorbereitungs-Military für die Olympischen Spiele in Stockholm ausgerichtet wird. Bekannte Reitergrößen und künftige Stars wie Alwin Schockemöhle und Rainer Klimke reiten durch das Neckartal über Kirchentellinsfurt hinauf zum Einsiedel. 1955 gewinnt Reitlegende Hans Günter Winkler außerdem das S-Springen beim Internationalen Reitturnier der TRG auf Halla, die danach zur Wunderstute werden soll. „Damals kamen bis zu 20 000 Zuschauer ins alte Universitätsstadion“, sagt der frühere TRG-Vorsitzende Klaus Henig, der zu dieser Zeit mit dem Reiten begonnen hat.
1956 wird das Reithaus an der Wilhelmstraße von den Franzosen an das Land Baden-Württemberg zurückgegeben und an die TRG vermietet. Fünf Jahre später muss es allerdings der neuen Mensa der Universität weichen. Das neue Reithaus wird in Waldhausen gebaut und 1962 eingeweiht. Der große Reitplatz ist 1970 fertiggestellt, ein Jahr zuvor ist schon das Dresssurviereck angelegt worden.
Auf diesen Plätzen wird 1976 die deutsche Jugendmeisterschaft ausgetragen. Zwischen 1978 und 1988 richtet die Tübinger Reitgesellschaft sieben Mal die baden-württembergischen Meisterschaften aus, bis diese Titelkämpfe dem Verein zu aufwändig werden.
Bereits 1979 führt die TRG das Championat des baden-württembergischen Warmbluts durch – ein erster Kontakt mit dem Zuchtverband, der sich 17 Jahre später auszahlen soll. Denn 1996 kommt der Zuchtverband auf die Tübinger zu und fragt nach, ob die TRG dieses Landeschampionat dauerhaft ausrichten möchte. Für den damaligen Vorsitzenden Henig ist das die optimale Lösung, wieder ein großes Turnier in Verbindung mit der Leistungsschau der Züchter einzuführen. „Nur mit einem Turnier locken wir in Tübingen nicht mehr viele Zuschauer an“, sagt er, „aber durch das Landeschampionat mit der Qualifikation für das Bundeschampionat kommen viele Züchter und deren Anhang nach Tübingen.“ Die Rechnung, die der frühere Vorsitzende seinerzeit aufstellt, geht für die TRG bis heute bestens auf.
Autor Thomas de Marco, Erschienen in den Tübinger Blättern 2010
Tabellarischer Überblick
1559
Gründung des Collegium Illustre: erste höfisch moderne Bildungsanstalt Deutschlands
Ausbildungsfächer: Recht, Geschichte, Politik, Sprachen und Leibesübungen (Reiten, Fechten, Tanzen).
1819
Einrichtung des Universitätsreitinstituts
1839
Erbauung des neuen Reithauses an der Lustnauer Straße
1890
Privatstallmeister Wilhelm Fritz wird Universitätsstallmeister.
Öffnung des Universitätsreitbetriebes für Privatleute.
1901
45 Schulpferde im Bestand
1914
72 Schulpferde im Bestand
1949
Gründung der Tübinger Reitgesellschaft.
Die Reitanlage der französischen Garnision in der Wilhelmstraße wird als Gast genutzt. Ein Schulpferd ist im Bestand (Roland).
1950
Erstes Reit- und Fahrturnier als deutsch – französische Gemeinschaftsveranstaltung der TRG und der Societé de Concours Hippique de Tubingen.
1954
Militaryturnier mit Sichtungs- u. Ausscheidungsprüfungen für die Olympiade in Stockholm
Das Reithaus wird von den Franzosen an das Land Baden-Württemberg zurückgegeben und an die TRG vermietet.
Internationales Tübinger Reitturnier CHI
1962
Umzug in das neue Reithaus bei Waldhausen
1970
Einweihung des großen Turnierplatzes
1976
Ausrichtung der Deutschen Meisterschaft für Junioren und Junge Reiter
1978
1980
1981
1984
1986
Ausrichtung der Baden-Württembergischen Meisterschaften
1980
Zweite große 20×60 m Halle wird gebaut
1995
Ab sofort immer am 1. Juliwochenende Dressur- und Springturnier bis Klasse S und Landes-Championat des Baden-Württembergischen Reitpferdes
1999
Jubiläumsjahr zum 50 – jährigen Bestehen der Tübinger Reitgesellschaft
Großer Jubiläumsball im Rahmen des Turniers mit vielen Ehrengästen und ehemaligen Reitlehrern und Mitgliedern
1999
Der Orkan „Lothar“ deckt den kompletten Schulpferdestall ab. Bis zur Wiederherstellung des Stalldachs, Mitte März 2000, müssen ca. 20 Pferde in Turnierboxen in der großen Reithalle untergebracht werden.
2002
Der neue Dressurplatz mit 25 x 65 m wird fertig. Damit wird die TRG den Turnieranforderungen in der Dressur bis zur höchsten Klasse wieder gerecht.
2006
Im April wird unser 1,6 Hektar großer Springplatz generalsaniert und mit einer terra-tex® Auflage ausgestattet. Damit wird die TRG den Turnieranforderungen auch beim Springen bis zur höchsten Klasse wieder gerecht.
2011
Die große Reithalle (20 x 60) wird ebenfalls aufwendig mit einem terra-tex® ausgestattet, damit können wir auch in dieser Halle optimale Reitbedingungen bieten.
2011
Fast zur gleichen Zeit bekommt das Dach des Hauptgebäudes (Kleine Halle, kleiner Paddockstall und ehem. Schulstall) eine Photovoltaikanlage.
2018
Neuer Betriebsleiter und Reitlehrer, Stephan Bischof und Familie
Austausch der Seitenfenster in der großen Halle
Erneuerung der Hallenböden in der großen und kleinen Halle
Aprilturnier am 23-24.04.2018
Diese kurze Aufstellung kann nur ein kleiner Einblick in die Tradition des Reitsports in Tübingen sein und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Die Reitlehrer und Betriebsleiter der Tübinger Reitgesellschaft
April 1949 – März 1956 | Kurd Albrecht von Ziegner, Rittmeister a.D. |
Dez. 1953 – Febr. 1960 | Willi Guthmann, Wachtmeister a.D. |
Mai 1956 – Okt. 1959 | Günther Festerling, Reitmeister (FN) |
Okt. 1959 – März 1961 | Herbert Frick, Ausbilder |
Aug. 1960 – März 1965 | Helfried Mutze, Reitlehrer (FN) |
Febr. 1965 – Aug. 1965 | Wolfgang Winter, Reitlehrer |
Okt. 1965 – März 1978 | Theo Hansen, Reitmeister (FN) |
Juli 1978 – Juli 1985 | Herbert Görgens, Reitlehrer (FN) |
Juli 1985 – Okt. 1985 | Torsten Rosenthal, Reitlehrer (FN) |
Nov. 1985 – Juni 1987 | Doris Ludwig, Pferdewirtschaftsmeisterin |
Sept. 1987 – Dez. 1996 | Helfried Mutze, Reitlehrer (FN) |
Jan. 1995 – Okt. 1995 | Harald Petter, Pferdewirtschaftsmeister |
Jan. 1996 – März 1996 | Eckard Bothe, Reitlehrer |
Okt. 1996 – Dez. 2000 | Michael Köhler, Reitlehrer (FN) |
Dez. 2000 – März 2009 | Friedrich Gohde, Reitlehrer (FN) |
Apr. 2009 – Sept. 2011 | Michaela Peters, Pferdewirtschaftsmeisterin |
Apr. 2013 – Dez. 2017 | Holger Plogsties, Reitlehrer |
Jan. 2018 – März 2021 | Stephan Bischof, Reitlehrer |
Apr. 2021 – Sept. 2022 | Beate Schäfer, Reitlehrerin |
Okt. 2022- heute | Ina Kurz und Ole Rosen, Reitlehrer |